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Interview zur Bedeutung der Einwohnerkommunikation im Tourismus

11.06.2025

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8 min

Wer über Tourismus spricht, meint oft zuerst Gäste. Und doch rückt zunehmend eine andere Anspruchsgruppe in den Mittelpunkt: die Einwohnerinnen und Einwohner. Denn erfolgreiche Tourismusentwicklung gelingt nur im Einklang mit den Menschen vor Ort. Warum Kommunikation dabei der Schlüssel ist und wie sich damit Akzeptanz, Vertrauen und Mitgestaltung fördern lassen, erklären Isabell Decker und Laura Strippel von Saint Elmo’s Tourism im Interview.

Im Interview: Isabell Decker und Laura Strippel

Saint Elmo’s Tourism

Isabell Decker und Laura Strippel © Saint Elmo’s Tourism

Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man auch nicht nicht kommunizieren. (Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick)

Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern:

Warum ist die Kommunikation mit Einheimischen heute wichtiger denn je für den Erfolg des Tourismus?

Saint Elmo’s:

Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Mecklenburg-Vorpommern, aber langfristiger Erfolg erfordert mehr als Rekordzahlen – es braucht Akzeptanz. Die Bevölkerung spielt eine wichtige Rolle für die Attraktivität eines Reiseziels. Sie sind Mitgestalter*innen des Lebensraums, Gastgeber*innen im Alltag und Abbild der regionalen Identität. Doch mit steigenden Touristenzahlen wird der Tourismus oft als Einschränkung in der Lebensqualität wahrgenommen, was zu wachsender Skepsis, teilweise auch zu Protest, führt. Die Zeit können wir nicht zurückdrehen, aber wir können die Einheimischen besser in die Kommunikation einbeziehen, sie in Entscheidungen einbinden, aufklären und gemeinsam Lösungen entwickeln. Tourismus funktioniert nur als Gemeinschaftsaufgabe, denn es geht um den gemeinsamen Lebensraum, in dem nicht nur die Gäste ihren Urlaub verbringen, sondern vor allem die Einwohner*innen ihren Alltag leben.

TMV:

Wie kann gelungene Kommunikation zur Akzeptanz des Tourismus beitragen – und was passiert, wenn sie fehlt?

Saint Elmo’s:

Grundsätzlich muss uns bewusst sein, dass wir ständig kommunizieren. „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man auch nicht nicht kommunizieren“, wie Paul Watzlawick schon sagte. Gute Kommunikation kann viel bewegen, schlechte viel kaputt machen. Wenn wir verständnisvoll, fair, empathisch, emotional und klar kommunizieren, bauen wir Vertrauen und Verständnis auf und können Vorurteile, Sorgen und Ängste abbauen. So schaffen wir Raum für Dialog, fördern Teilhabe und stärken die Gemeinschaft. Kommunikation ist letztlich auch eine Form der Wertschätzung. Wir nehmen unseren Gegenüber ernst und gehen auf Bedürfnisse und Wünsche ein. Mit schlechter Kommunikation entstehen Missverständnisse, Unmut und Spannungen, die sich früher oder später auf unterschiedlichste Art und Weise entladen. Sozialer Widerstand, Proteste, Verhinderungen von beispielsweise Kooperationen können medienwirksam wie in Barcelona oder Amsterdam Auswirkungen von fehlender oder schlechter Kommunikation sein.

TMV:

Einwohnerkommunikation ist weit mehr als das Verteilen von Informationen. Es geht um Haltung, um gegenseitiges Verständnis und darum, die richtige Sprache für die richtigen Menschen zu finden. Doch was heißt das konkret für die Kommunikation im touristischen Kontext? Was unterscheidet eine gelungene Kommunikation mit Einheimischen von klassischer Gästekommunikation?

Saint Elmo’s:

Bei der Kommunikation geht es immer darum, den Empfänger im Blick zu haben. Wenn wir mit Einwohner*innen sprechen, müssen wir auf ganz andere Bedürfnisse und Interessen eingehen als bei den Gästen. Auch die Ziele sind unterschiedlich: Bei den Gästen geht es oft um Inspiration und Information, während wir bei den Einheimischen mehr auf Transparenz, Aufklärung und Mitgestaltung setzen. Die Urlaubsmarke MV „Freiraum für Leben“ bleibt die Grundlage für die Kommunikation – die Perspektive und Ansprache ändern sich. Für die Einwohner*innen müssen wir andere Kanäle, Formate und eine andere Tonalität nutzen. Die Markenwerte – achtsam, entspannt und einladend – müssen als Fundament der Marke aber natürlich immer erhalten bleiben und auch hier spürbar werden.

TMV:

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Prinzipien gelungener Einwohnerkommunikation?

Saint Elmo’s:

Das A und O ist Augenhöhe – insbesondere in der Kommunikation mit den Einwohner*innen. Auch hier gilt: Es reicht nicht, die Einwohner*innen beispielsweise anhand soziodemografischer Merkmale zu kennen. Ziel muss sein, Einwohner*innen wie auch Gäste im Detail mit ihren Anforderungen, Wünschen und Herausforderungen zu verstehen. Botschaften müssen so vermittelt werden, dass sie verständlich sind – ohne Fachjargon und mit Beispielen, die im Alltag gut nachvollziehbar sind. Es sollte immer klar sein: Was ändert sich konkret für den Einzelnen? Besonders bei emotionalen Themen hilft es, sachlich zu bleiben und komplexe Dinge möglichst zu vereinfachen. Um Vertrauen aufzubauen, müssen sich die Einwohner*innen gehört und ernst genommen fühlen. Dafür ist es wichtig, ein echtes Verständnis füreinander zu zeigen und gleichzeitig verbindlich in den Aussagen zu sein. Letztlich geht es darum, die Balance zwischen den Erwartungen und der Realität zu finden.

TMV:

Mecklenburg-Vorpommern ist ein Flächenland mit vielfältigen regionalen Charakteren – von touristisch intensiveren Orten an der Küste bis zu ruhigen Rückzugsorten im Landesinneren. Diese Vielfalt stellt besondere Anforderungen an die Kommunikation mit den Menschen vor Ort. Wie lässt sich in einem so heterogenen Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern zielgerichtet mit Einwohnerinnen und Einwohnern kommunizieren?

Saint Elmo’s:

Wie vorher schon gesagt: Der Schlüssel zum Erfolg ist aus unserer Sicht das detaillierte Verstehen der Einwohner*innen. Die Themen und Herausforderungen sind so unterschiedlich und teils komplex, dass eine einheitliche Kommunikation über 1,6 Millionen Menschen nicht funktionieren würde. Deshalb ist es wichtig, den Fokus auf eine möglichst homogene Zielgruppe zu setzen, um zielgerichtet auf die individuellen Bedürfnisse und Erwartungen eingehen zu können. Wir haben uns dafür an dem wertebasierten Ansatz der SINUS-Milieus orientiert, die die Gesellschaft in zehn Milieus Gleichgesinnter unterteilen. Wir konzentrieren uns auf das nostalgisch-bürgerliche Milieu, das den größten Teil der Bevölkerung in MV darstellt. Innerhalb dieser Gruppe gibt es unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Tourismus, anhand derer fünf sogenannte Tourismus-Akzeptanz-Cluster gebildet werden. Diese Cluster helfen uns zu verstehen, welche Erwartungen und Argumente für welche Gruppe relevant sind. Um Milieu, Cluster, Haltungen und Co. greifbarer zu machen, haben wir partizipativ fünf Personas entwickelt. Mit diesen Personas haben die touristischen Akteure im Land ihre Zielgruppe „Einwohner*innen“ in Form eines Steckbriefs vor Augen und können ihre Kommunikation besser auf die Bedürfnisse und Eigenheiten ausrichten.

TMV:

Welche Herausforderungen, aber auch Chancen sehen Sie für die Kommunikation mit Einwohnerinnen und Einwohnern in Mecklenburg-Vorpommern?

Saint Elmo’s:

Die größte Herausforderung liegt in der unterschiedlichen Tourismusintensität und -akzeptanz in den verschiedenen Regionen und zu unterschiedlichen Jahreszeiten. In manchen Gegenden gibt es kaum Berührungspunkte mit dem Tourismus, während in den stark besuchten Küstenregionen viele sich durch den Tourismus eingeschränkt fühlen. Genau hier kommen die Personas ins Spiel. Jede Region oder jeder Ort kann die für sich passendste Persona identifizieren und die Kommunikation gezielt auf diese ausrichten. Mal geht es um Bewusstseinsbildung, mal darum, Konflikte zu minimieren. Diese Herangehensweise gibt jeder Region die Möglichkeit, die Kommunikation gezielt an ihre lokale Zielgruppe anzupassen, lokale Besonderheiten zu berücksichtigen und so Vertrauen aufzubauen. Mit guter Kommunikation können Menschen Mitgestalter werden, auch wenn sie eine ambivalente oder gar ablehnende Haltung gegenüber dem Tourismus haben. Wir können den Stolz der Menschen herauskitzeln und sie zu Botschaftern machen. Wir können Offenheit gegenüber Neuem erzielen und Verständnis schaffen, dass der Tourismus ein relevanter Partner im Kontext der regionalen Daseinsvorsorge ist.

TMV:

Sie erwähnten die Tourismus-Akzeptanz-Cluster. Wie unterstützen diese Cluster dabei, zielgerichtet zu kommunizieren?

Saint Elmo’s:

Die fünf Cluster – Begeisterte, Praktiker, Gelegenheitsnutzende, Gleichgültige, Kritiker – zeigen, wie unterschiedlich die Einstellungen zum Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern sind. Jedes Cluster hat ganz eigene Bedürfnisse und Erwartungen – und je nachdem, welchem Cluster jemand zugehört, fällt auch das Engagement unterschiedlich aus. Die Cluster helfen uns, die Kommunikation gezielt anzupassen: Wer braucht eher Informationen, wer möchte stärker beteiligt werden? „Praktiker*innen“ sehen den Tourismus beispielsweise sehr funktional und fragen nach Kosten-Nutzen-Verhältnissen. Für diese Gruppe ist sachliche, lösungsorientierte Kommunikation gefragt. Die „Kritiker*innen“ sehen den Tourismus emotional und sorgen sich um ihre eigene Lebensqualität. Hier hilft es, empathisch zu kommunizieren, auf ihre Bedenken einzugehen und echte Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen.

TMV:

Die Bedeutung von Kommunikation mit Einwohnerinnen und Einwohnern ist deutlich geworden. Doch wie lässt sich das Thema in die eigene Praxis übertragen? Welche konkreten Schritte können Kommunen, Destinationen und Einrichtungen jetzt gehen? Das Thema ist für viele neu und wirkt komplex – wie gelingt ein guter Einstieg in die Einwohnerkommunikation?

Saint Elmo’s:

Der erste Schritt ist, sich bewusst in die Lage der Einwohner*innen zu versetzen. Sie haben ganz andere Bedürfnisse als die Gäste. Deshalb muss man sich immer wieder fragen: ‚Mit wem kommuniziere ich eigentlich?‘ Danach sollte man klar herausarbeiten, was das Ziel der Kommunikation ist. Möchte ich Vertrauen aufbauen, Beteiligung fördern, Bewusstsein schaffen oder Konflikte minimieren? Wenn das Ziel klar ist, kann man mit kleinen, gezielten Maßnahmen anfangen und Schritt für Schritt darauf aufbauen. Ein hilfreiches Werkzeug dabei ist das neue Workbook „Einwohnerkommunikation im Tourismus“, das durch die verschiedenen Schritte führt und einen guten Einstieg ermöglicht.

TMV:

Was bietet das neue Workbook zur Einwohnerkommunikation im Tourismus?

Saint Elmo’s:

Das Workbook wurde als praktisches Werkzeug entwickelt, dessen Gebrauch keine lange Einarbeitung oder aufwendige Analysen erfordert, sondern sofort anwendbare Tipps und Tricks, die individuell angepasst werden können, bietet. Es ist modular aufgebaut und beginnt mit einer theoretischen Herleitung, auf die sehr schnell konkrete, greifbare Empfehlungen folgen. Im Workbook finden sich Zielgruppen-Steckbriefe mit den wichtigsten Treibern und Barrieren der Kommunikation, Dos and Don’ts für eine glaubwürdige und verständliche Ansprache, Anleitungen zur Festlegung von Kommunikationszielen und -kanälen sowie Satzbausteine für verschiedene Themen und Reaktionen auf kritische Stimmen. Das Workbook verfolgt nicht das Ziel, eine einheitliche Kommunikation für ganz Mecklenburg-Vorpommern vorzuschreiben, sondern motiviert und unterstützt das Finden einer eigenen, markenkonformen Kommunikation mit viel Raum zur Individualisierung und für eigene Ergänzungen.

TMV:

Für wen eignet sich das Workbook besonders – und wie lässt es sich im Alltag einsetzen?

Saint Elmo’s:

Das Workbook ist ideal für alle, die im Bereich Tourismus mit den Einwohner*innen in Kontakt stehen – dazu gehören Tourismusverantwortliche auf Landes- und kommunaler Ebene, Mitarbeitende in Kurverwaltungen, Tourist-Informationen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Verwaltungen, die in Tourismusprozesse eingebunden sind. Je nach Zielsetzung kommen unterschiedliche Kanäle und Maßnahmen zum Einsatz, und das Workbook bietet dafür individuell zugeschnittene Tipps. Mit klaren Schritt-für-Schritt-Anleitungen ist es sowohl für Einsteiger geeignet, die erste Maßnahmen entwickeln wollen, als auch für Erfahrene, die ihre Strategie reflektieren und noch gezielter gestalten möchten.

TMV:

Was würden Sie als Außenstehende den Tourismusverantwortlichen in Mecklenburg-Vorpommern gerne mit auf den Weg geben?

Saint Elmo’s:

Mecklenburg-Vorpommern ist zu Recht Jahr für Jahr ein Sehnsuchtsort für über acht Millionen Gäste. Zugleich sollten wir nicht vergessen, dass das Land auch das Zuhause und der Lebensmittelpunkt vieler Menschen ist. Eine Balance zwischen Lebens- und Erlebnisraum ist definitiv möglich – aber sie entsteht nicht von selbst. Kommunikation spielt dabei eine zentrale Rolle. Hier können wir noch einmal an das Zitat von Paul Watzlawick erinnern: „Man kann nicht nicht kommunizieren“. Kommunikation entscheidet darüber, ob wir auf Abwehr oder auf Commitment stoßen, ob es Teilhabe oder Ignoranz gibt. Es geht darum, sichtbar zu machen, wie der Tourismus die Lebensqualität fördert, weil das letztlich der Grund ist, warum wir Tourismus machen. Was nicht fehlen darf ist eine Prise Humor oder hier und da auch ein Augenzwinkern – natürlich entsprechend der Thematik oder dem Ziel mit Bedacht: Wir können damit Nähe schaffen, Polarisierung entschärfen und positiv im Gedächtnis bleiben.

TMV:

Vielen Dank für das Interview.

TMV:

Das Workbook „Einwohnerkommunikation im Tourismus“ steht allen Tourismusverantwortlichen in Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung. Es kann kostenlos unter tourismus.mv/artikel/tourismusverband-mv-veroeffentlicht-leitfaden-zur-kommunikation-mit-einwohnerinnen-und-einwohnern heruntergeladen oder über die Geschäftsstelle des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern als gedrucktes Exemplar bezogen werden. Bei Fragen oder für fachlichen Austausch steht das Team des TMV gerne zur Verfügung. Kontakt: Matthias Pens, Projektmanager Tourismusakzeptanz, m.pens@auf-nach-mv.de